Masterclass "Bühnenbesetzungen"
„Bühnenbesetzungen“. Die Affäre(n) um Rainer Werner Fassbinders Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod“
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Masterclass der Theaterwissenschaft der Goethe-Universität in Kooperation mit dem Jüdischen Museum, dem Fritz-Bauer-Institut, dem Schauspiel Frankfurt und dem Filmmuseum
Gegenstand der Masterclass ist die Besetzung der Großen Bühne des Schauspiels Frankfurt durch Frankfurter Jüdinnen und Juden im Oktober 1985, die damit die Premiere des Fassbinder-Stückes “Der Müll, die Stadt und der Tod” verhinderten. Dies stellte eine Form der Selbstermächtigung dar, mit der sich die jüdische Gemeinschaft in der Bundesrepublik erstmals öffentlich Gehör verschaffte. Vierzig Jahre nach Kriegsende drang damit eine Erfahrung in den gesellschaftlichen Diskurs vor, die später als „Opferperspektive“ bezeichnet wurde. Zugleich stellte dieser Moment den größten Theaterskandal der westdeutschen Nachkriegsgeschichte dar. Im Zusammenhang der Masterclass soll Gelegenheit gegeben werden, diesen einschneidenden Moment der jüdischen Nachkriegsgeschichte Frankfurts wie der westdeutschen Theatergeschichte zu reflektieren und dabei einerseits die Möglichkeiten und Grenzen der spezifischen Öffentlichkeit des Theaters zu reflektieren, andererseits sich mit performativen Strategien des Empowerments von Minderheiten im Kontext einer zeitgenössischen ästhetischen Repräsentationspolitik auseinanderzusetzen. Die Veranstaltung ist zugleich Abschluss des gleichnamigen Seminares im Wintersemester wie auch ein selbständiges Angebot für Masterstudierende und Promovierende des Instituts für TFM sowie der Partnerstudiengänge in der Hessischen Theaterakademie.
Die instituts- und HTA-öffentliche Masterclass am 23./24. April, bei der Studierenden und Promovierenden die Gelegenheit zur Präsentation und Diskussion eigener Forschungsergebnisse und –fragen gegeben wird, wird am 24. abends und am 25. April ergänzt durch ein öffentliches Symposium, das im Schauspiel Frankfurt, im Jüdischen Museum und im Filmmuseum stattfinden wird. Es steht im Kontext der Wiedereröffnung des Jüdischen Museums und eines Themenschwerpunkts „Antisemitismus“ des Schauspiels. Dabei werden Zeitzeug*innen, Wissenschaftler*innen und Künstler*innen eine Neubewertung dieses historischen Aktes zivilen Ungehorsams aus heutiger Perspektive vornehmen und zugleich in mehreren Diskussionsrunden, einer Lesung und Filmbeiträgen die von Fassbinders Stück aufgeworfenen Fragen ästhetischer und politischer Art diskutieren.
Im Zentrum könnten dabei stehen:
Relektüre(n) von Fassbinders Müll-Stück: Wie stellt sich das Stück aus der Distanz dar? Wie beantworten wir die bei seiner ersten Veröffentlichung in den 70er-Jahren und beim Skandal Mitte der 80er-Jahre aufgeworfenen Fragen heute?
Alter und neuer Antisemitismus: In welchen Zusammenhängen des alten und neuen Antisemitismus stehen die im Stück aufgeworfenen Fragen, die Formen der Repräsentation wie die Diskussion um das Stück aus heutiger Sicht.
Othering: Der Fassbinder-Skandal im Kontext der Repräsentations-Problematik, wie sie von Spivak (Can the Subaltern speak?) und anderen thematisiert wurde und die Frage, wer wen darstellen darf und wie?
Empowerment: Die Bühnenbesetzung als Form des „Coming outs“ und der „Emanzipation“ im Kontext anderer, vergleichbarer Aktionen und Selbst-Ermächtigungen.
Identitätspolitik, Diversität und Differenz: Theater als Ort der Verhandlung von Mechanismen des Ausschlusses, als Safe Space und Stätte der Öffnung für Ansprüche, die im Diskurs und in den Medien des Mainstreams keine Rolle spielen.
Häuserkampf und die Wohnungsfrage als soziale Frage des 21. Jahrhunderts auf der Bühne: Wie können soziale Auseinandersetzungen, die auf Ungleichheit und Ungerechtigkeit - als Formen struktureller Gewalt – in künstlerische Arbeiten auf der Bühne und/oder die Auseinandersetzung mit ihnen eingehen.
Die Veranstaltung ist hybrid oder digital geplant. Sie setzt sich aus dem universitätsöffentlichen Teil (24. April) sowie einem öffentlichen Auftakt am 23. (Goethe-Universität) und einem Symposium am 25. April (Schauspiel Frankfurt) zusammen.
Wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr. Nikolaus Müller-Schöll. Konzeption in Zusammenarbeit mit Lina Schonebeck und Paul Koloseus